Die Pulswärmer

 

Es ist noch früh.

05:15 Uhr

25.10.2025. 
Der Tag trägt lauter Fünfen im Gepäck, 
als hätte das Universum beschlossen: 
Heute stellen wir mal wieder auf Neuanfang. 

Ich lächle über diesen Gedanken. 
Die Fünf steht für Bewegung und Wandel – so viel weiß ich. 

Und vielleicht beginnt genau jetzt etwas Neues. 
Nicht laut, nicht spektakulär, sondern still, 
irgendwo zwischen Herz und Hand. 

Meine Gelenke schmerzen – 
schon länger, immer wieder, mal hier, mal da. 

„Typisch“, murmele ich vor mich hin. 
„Wechseljahre, Alter, Nachbeben – 
wer weiß das schon so genau.“ 

Gestern bestelle ich mir endlich Pulswärmer. 
Ein kleines Geschenk an mich selbst. 

Gegen die Kälte. 
Gegen das Ziehen in den Fingern. 
Für mehr Wohlgefühl. 

Doch tief in mir spüre ich: Es geht längst um mehr. 

Es ist eine Geste der Zärtlichkeit gegenüber jenen Körperteilen, 
die mein Leben lang übersetzt haben – 
vom Unsichtbaren ins Sichtbare, vom Fühlen ins Tun, 
vom Empfangen der Inspiration 
zum Formen, Kneten und Schieben der Impulse. 

Von der Liebe, die durch die Hände fliesst.

Ich strecke meine Hände ins erste graue Licht des Morgens.
Sie sind älter geworden, ja – 
aber sie erzählen Geschichten. 
Von Körpern, Farben, Erde, Tinte, Holz, Tastatur. 


Sie erzählen Geschichten

Von allem, was ich je berührt habe, 
um die Welt ein Stück lebendiger zu machen. 

Und von allem, was ich nicht getan habe.

Vielleicht sind die Pulswärmer gar nicht nur dazu da, 
meine Finger zu schützen. 
Vielleicht wärmen sie den Raum– 
jenen Übergang zwischen Vergangenheit und Zukunft, 
in denen der Puls des Lebens am deutlichsten spürbar ist. 
Im-Puls. 

Im-Puls der Zeit.

Im-Puls der Dimensionen.

Am Puls des Lebens.

Im Puls des Lebens.

Ich denke an all die Schreiberlinge vor mir – 
die im Kerzenlicht mit Feder, Kohle und kalten Händen, 
aber mit warmem Herzen ihre Zeilen auf Papier bannten. 

Vielleicht werde ich, wenn meine Pulswärmer ankommen, 
nicht nur meine Hände wärmen, 
sondern auch meine Zugehörigkeit  bekunden
zu dieser langen Reihe von Brückenbauer*innen 
zwischen Inspiration und Papier, 
zwischen Buchstaben, Zahlen, Zeilen und Erinnerungen. 

Ich lege meine Hände in den Schoß. 
Nicht, weil sie müde sind – 
sondern weil sie wissen, 
was mein Zweifler noch immer zur Seite schiebt. 

Weil sie es sind, 
die das Schwert und das Schild loslassen, 

Endgültig
welche ich so lange gegen mich selbst erhoben hatte. 

Vielleicht ist die Wärme einfach das Einverständnis 
zwischen Körper und Seele, 
dass beide denselben Ausdruck der Liebe erschaffen. 

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Nachhall 

Manchmal hallt so eine Geschichte länger nach,

als es braucht, sie zu schreiben. 

Ganz sicher sogar.


Eine Leserin schreibt von Berührung, 
vom Älterwerden und der Sehnsucht nach dem Verpassten. 


Eine andere lächelt still. 
Die nächste würdigt ihre alternden Hände und erinnert sich.

 


Und irgendwo dazwischen antwortet meine Mutter – 
zum ersten Mal ausführlich auf ihrem Handy. 

„Man muss es nehmen, wie es ist“, schreibt sie. 
Zwischen ihren Zeilen liegen Liebe und Erfahrung, 
liegen Wärme – und ein wenig Traurigkeit. 

Nicht nach dem Stoff der Pulswärmer, 
sondern nach jenen Händen, 
die früher ihre hielten und wärmten.

Vielleicht ist DAS der wahre Nachhall: 
dass Worte etwas in uns berühren, 
das längst still in uns geworden ist. 

Und dass selbst durch das Netzwerk der Technik 
eine Form von Nähe entstehen kann, 
die keine sichtbaren Wollfäden trägt – 
doch den selben Stoff der wärmenden  Liebe. 

 

Text und Foto Stefanie Seiler / ArtinopenroomZ

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